Pro und Contra zur anonymisierten Bewerbung
In den USA ist es schon lange Usus heikle demographische Daten im Lebenslauf und das Bewerbungsfoto wegzulassen. In Europa flackern auch immer wieder Diskussionen in Richtung „anonymisierte Bewerbung“ auf, um der Diskriminierung Einhalt zu gebieten.
So läuft in Deutschland eine hitzige Diskussion zu diesem Thema, das auch in Österreich immer wieder zur Sprache kommt. Eine empirische Untersuchung und Pilotprojekt, welches das Thema genauer beleuchtet, erschien 2012 (siehe Pilotprojekt des IZA www.iza.org)
Folgende Bewerber-Daten wurden dabei vor den RecruiterInnen verborgen:
– Name
– Geschlecht
– Nationalität und Geburtsort
– Behinderung
– Geburtsdatum (bzw. Alter)
– Familienstand
– Foto
Das anonymisierte Bewerbungsverfahren soll den BewerberInnen, die als „schwierig zu integrieren“ am Arbeitsmarkt gelten, die Chancen erhöhen, zum persönlichen Interview eingeladen zu werden.
Kling gut, auf den ersten Blick!
Mehr Objektivität, weniger persönliche Vorlieben in der Vorauswahl und klischeebefreite Entscheidungen wären die ideellen Ziele so eines Verfahrens.
Wie sieht es jedoch im Bewerbungsalltag für KandidatInnen und RecruiterInnen aus?
Ähnlich einer Situation vor dem ersten Date versuchen beide Seiten Ihr Bestes zum Ausdruck zu bringen. Die KandidatInnen haben die Chance ganz klassisch – Lebenslauf mit Foto, Motivationsschreiben und Empfehlungen – zu übermitteln. Immer häufiger werden jedoch von engagierten BewerberInnen moderne Medien genutzt: eine Video-Botschaft oder animierte Präsentationen. Längst schon hat das so genannte „Infotainment“ aus Film und Fernsehen Einzug in die Individualbewerbung genommen.
Die anonymisierte Bewerbung hingegen bewirkt einen Retourschritt in der Datenübertragung. Noch dazu auf eine sehr einseitige Art und Weise. Während sich potenzielle Arbeitgeber um mehr Transparenz und Employer Branding bemühen, würden die BewerberInnen nur ein Minimum von sich preisgeben (dürfen).
Wird dadurch die Diskriminierung verringert, weil keine Vorselektion von gewissen Eigenschaften passiert? Haben jene KandidatInnen dadurch die Chance in einem persönlichen Gespräch Vorurteile der Arbeitgeber zu entkräften?
Oder wird lediglich der Zeitpunkt einer eventuellen Diskriminierung auf später verschoben und damit der Bewerbungsprozess einfach nur verlängert?
Wie „anonym“ ist eine Bewerbung tatsächlich?
Wenn in einer anonymisierten Bewerbung beispielsweise der Präsenzdienst angegeben wird, handelt es sich vermutlich um einen männlichen Bewerber. Im Falle von exotischen Sprachkenntnissen lässt sich ein Migrationshintergrund vermuten. Weiters wird eine langer Lebenslauf mit viel Berufserfahrung auf einen älteren Kandidaten hindeuten. Während ein sehr kurzer CV auf einen jungen Menschen verweist.
Spätestens aber, wenn der/die KandidatInnen angerufen wird, wird sich das Geheimnis über Gender und Deutschkenntnisse lüften.
Weniger Information für den Arbeitgeber = mehr Fairness für die Arbeitssuchenden?
Diesen Punkt sehe ich vor allem deswegen kritisch, weil man a) einen Bewusstseinswandel in den menschlichen Köpfen nicht von außen erzwingen kann, sondern nur durch nachhaltige Überzeugungsarbeit bewirkt. b) Werden nicht nur den Recruitern die Chance auf ein gesamtheitliches Bild von den Kandidaten genommen, sondern auch die Kandidaten der Chance beraubt:
1.) Ihre Individualität und Kreativität in der Darstellung ihrer Unterlagen auszudrücken
2.) Ein professionelles Businessfoto und gepflegtes Äußeres zu kommunizieren
3.) Ihrer Persönlichkeit in Wort und Bild Ausdruck zu verleihen
Resümee
Ich würde es als Rückschritt empfinden, wenn sich die anonymisierte Bewerbung durchsetzte. Sowohl als Recruiterin als auch als Bewerberin wäre es nicht zielführend einen künstlichen blinden Fleck zu erfinden. Ähnlich eines blind-date, würde der Überraschungseffekt womöglich hinderlich sein. Auch wenn selbst ein blindes Huhn mal ein Korn findet, sollte Recruiting nicht zum Glückstreffer alleine werden, sondern auf der Erfahrung gut geschulter HR-MitarbeiterInnen basieren.
Autorin: Mag. Emese Bordi